Anomalien im Trading

Im Trading geht es darum, einerseits auf die Regel und das Wahrscheinliche zu setzen, sich gleichzeitig aber auf die Ausnahme und das Unwahrscheinliche vorzubereiten. Denn jede Regel hat ihre Ausnahmen. Immer wieder gab es in der Historie noch nie da gewesene Ereignisse. Selbst professionelle Adressen, wie Broker oder Hedge-Fonds, haben durch die Ausreißer immer wieder Schiffbruch erlitten. Das zeigt, dass es jeden erwischen kann, und dass eine konservative Planung der Einsatzhöhe über allem anderen stehen muss. Denn wie viel wir einsetzen, ist das einzige, was wir wirklich kontrollieren können.

Amaranth Hedge-Fonds 2006

Allein in den vergangenen 15 Jahren gab es eine ganze Reihe von Anomalien, die so niemand vorher auf der Rechnung hatte. So kollabierte 2006 im September der Hedge-Fonds Amaranth, als er sich im US-Erdgas verspekulierte. Erdgas halbierte sich damals rasch, um sich anschließend binnen Wochen zu verdoppeln. Es war kaum vorstellbar, dass einer der renommiertesten Hedge-Fonds seiner Zeit, mit einer einzigen Spekulation kollabieren könnte. Doch genau das passierte.

Flashcrash am 06. Mai 2010

An diesem Tag brachen die Kurse des S&P 500 binnen 6 Minuten um 6 Prozent ein. Ausgelöst wurde der Rutsch durch die Marktmanipulation seitens eines einzelnen Händlers, der massenhaft Kaufaufträge aufgab, sie sofort automatisch wieder stornierte, und so den Kursverfall auslöste. Als Lehre daraus hat die US-Börsenaufsicht (SEC) ihre Regularien geändert und ein Handelsbreak eingebaut, wenn es zu einem zu schnellen, starken Kursverfall kommt.

Abkopplung des Schweizer Franken vom Euro

Im Januar 2015 gab die Schweizer Notenbank überraschend bekannt, dass sie die drei Jahre zuvor eingeführte Bindung an den Euro mit einem Mindestkurs von 1,20 Euro aufgeben wird. Der Franken schoss binnen einer Stunde um knapp 30% gen Norden gegenüber dem Euro und 25% gegenüber dem US-Dollar. Diese Bewegung war zwar binnen weniger Tage wieder komplett gekontert, jedoch nützte das einigen Adressen nichts mehr. Sie konnten die Schwankungen nicht aushalten. So meldeten bis dahin etablierte CFD-Broker Insolvenz an, zahlreiche private Trader gerieten in Nachschusspflicht, und verloren alles.

Negativzinsen

Bis 2010 waren für uns alle negative Zinsen undenkbar. In der Historie hatte die US-Notenbank den Zinssatz stets oberhalb von 0% herauf und herab gesetzt. Doch seit 2010 haben wir ganz neue Dimensionen. Zu den Null-Zinsen der Notenbank(en) wurden gigantische Anleihenkaufprogramme aufgelegt, die den Zins nochmals drückten. Etliche Marktteilnehmer verspekulierten sich in diesem Rahmen in Anleihenmärkten, wie dem Bund Future. Zudem hat diese Liquiditäts-Schwemme weitreichende Folgen auf das Marktverhalten sämtliche Futures-Märkte. Die Open Interests stiegen besonders ab 2012/2014 massiv an, was ein Verwässern der bisherigen Grenzen z.B. im CoT-Report und drückte auf die Volatilität. Sehr träge Bewegungen waren die Folge, was den aktiven Handel erschwerte.

Corona Lockdown

Vor Monaten noch undenkbar, heute bittere Realität. Die gesamte Weltwirtschaft ist wegen eines Virus heruntergefahren. Die Geschäfte, Hotels, Restaurants sind dicht, Sportveranstaltungen und Großevents bis auf weiteres abgesagt. Die Folgen sind weitreichend, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum abschätzbar. Wie umfassend die Kolateralschäden sein können, wird sich erst eine Weile nach Corona in seinem ganzen Ausmaß zeigen. Doch einen Vorgeschmack gab es bereits am 20.04.2020 im Ölmarkt.

Ölpreis crasht auf MINUS 40 Dollar

Der angeordnete Lockdown brachte die Wirtschaft zum Erliegen, und damit die Nachfrage nach wichtigen Rohstoffen aus dem Energiebereich. Das angesichts eines milden Winters ohnehin üppige Angebot von Rohöl traf selbst nach einem massiven Cut der Fördermengen, auf fast keine Nachfrage. Die Lager, Tanks und Pipelines sind voll bis an den Rand der Kapazitäten. So kam es, dass der Mai-Future von Rohöl am 20.04. zwischenzeitlich auf MINUS 40 US-Dollar einbrach. Um es klar zu machen: Produzenten zahlten den Käufern also 40 Dollar dafür, dass sie ihnen Rohöl abkaufen. Dass ein Future einen negativen Preis annehmen kann, war bis dahin nie vorgekommen, und galt als undenkbar. Der Preis erholte sich unmittelbar vor dem Delivery-Termin dann noch auf +1 Dollar im saudischen Handel.

Die Lehre und die präventiven Maßnahmen

All diese Ereignisse sind zuvor noch nie aufgetreten, und waren schwer kalkulierbar. Die meisten davon (die Negativzinsen ausgenommen) sind von sehr kurzer Dauer. Auf den Punkt gebracht geht es im Trading an erster Stelle darum, Schwankungen auszuhalten, und sich nicht durch die seltenen, aber heftigen Ausreißer, aus dem Spiel nehmen zu lassen. Eine erzkonservative Positionsgröße, die viel Spielraum für Black Swan Events gibt, sowie eine gute Diversifikation (18-20 Strategien auf verschiedene Märkte mindestens) sind für mich das A und O. Gleichzeitig muss jedem, der diese präventiven Schritte geht, klar sein, dass sie nicht nur die Risikoseite entschleunigen, sondern auch die Ertragsseite. Man wird länger brauchen, um Draw Downs aufzuholen, und die durchschnittliche Performance per anno wird geringer ausfallen. Ein absolut erträglicher Preis, wenn man dadurch sein Überleben sichert, wie ich meine.

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