Vorsicht mit saisonalen Charts
Je tiefer man in die Materie eintaucht, desto verständlicher wird, warum die Masse der Börsianer am langen Ende es nicht schafft, profitabel zu handeln. Trading ist komplex, und es hat viele kleine Fallen. Immer wieder hängt es entscheidend von der Qualität der Informationen ab, auf deren Grundlage man Entscheidungen trifft. Und sind diese unzureichend, lückenhaft oder gar falsch, kann das Ergebnis am Ende auch dauerhaft nicht positiv werden. Gerade die frei verfügbaren saisonalen Charts bringen dieses Risiko mit sich. Im Folgenden erkläre ich warum.
Endloskontrakte als Grundlage?
Du wirst den Begriff „Endloskontrakt“ sicher bereits irgendwo vernommen haben. In der Software Tradenavigator gibt es knapp 20 verschiedene Adjustierungsformen für die Kontrakte. Es sind also 20 verschiedene Arten, wie die Lücken zwischen einzelnen Liefermonaten in der langfristigen Darstellung gefüllt werden, und wie die Kontrakte aneinander angedockt werden. Viele Anbieter, die Saisonalitäten auswerten, und entsprechende Charts bereitstellen, nutzen meines Wissens Endloskontrakte. Das ist solange kein Problem, solange in dem zugrunde liegenden Markt keine starken Differenzen zwischen den einzelnen Lieferterminen und den zugehörigen Preisen vorliegen. Doch wenn wir etwas fernab vom Mainstream schauen, zum Beispiel auf Zucker, Erdgas oder Reis, wird es problematisch. So ist die Terminkurve von Erdgas naturgemäß recht steil. Bei Zucker haben wir IMMER einen Sprung zwischen dem Oktober-Kontrakt und dem folgenden Liefertermin März. Und bei Reis fallen die Terminkurven bisweilen auch sehr steil aus. Gerade dieser Markt liefert aktuell ein schönes, praktisches Beispiel dafür, dass Du zwar eine saisonale Schwäche in den nächsten Monaten erwarten sollst, die Preise im Herbst auch definitiv drastisch unter den gegenwärtigen Notieren werden, Du aber davon in der Praxis nicht profitieren wirst. Ich erkläre Dir warum.
Klassische Saisonalität
Nach dem klassisch saisonalen Verlauf sollte Reis sich ab Mitte/Ende Juni abschwächen bis in den Herbst hinein. Soweit so gut. In der Praxis musst Du aber einen konkreten Termin handeln, sprich, einen spezifischen Kontrakt. Das kann gegenwärtig entweder der Juli sein (expiriert am 30.06.), der September oder der November.
Anmerkung: Wir alle können und sollten dankbar sein, dass es Anbieter, wie Equityclock, Seasonalcharts etc. gibt, die viele hilfreiche Informationen frei zur Verfügung stellen. Für uns als Trader ist darüber hinaus aber wichtig, zu wissen, an welchen Punkten aus der Marktstruktur heraus Probleme entstehen und falsche Suggestionen entstehen können. Genau darum geht es in diesem Artikel.
Was der saisonale Chart uns sagt, ist, dass der Preis im Oktober deutlich niedriger steht, als im Juni. Nur wirst Du davon nullkommanull profitieren können, wetten!!? Und das, obwohl der Preis im Oktober tatsächlich sehr viel niedriger stehen wird. Auch da bin ich ganz, ganz sicher. Das Problem, welches Dir in der Praxis begegnet, ist folgendes: Der Juli-Kontrakt ist aktuell bei 22 Dollar gelegen. Ihn kannst Du aber nicht für diesen saisonalen Trade nutzen, da er Ende Juni zur Lieferung gestellt wird, sprich expiriert. Wenn Du nun denkst, dass Du halt einfach den November-Kontrakt nimmst, bist Du auf dem Holzweg. Denn dieser steht bereits jetzt – und das seit Monaten – sehr viel niedriger. Er hat die Aufwärtsbewegung kaum mitgemacht, und voraussichtlich wird er deshalb auch nicht wesentlich fallen. In der Terminstruktur siehst Du, zu welchen Preisen die einzelnen Liefermonate gehandelt werden. Anfang Februar stand der Juli-Kontrakt bei 13,53 und der November bei 12,12 Dollar.
Während sich der Juli bis zum 04.06.2020 auf 22 Dollar verteuert hat, steht der November-Kontrakt auch jetzt noch immer auf dem gleichen Niveau. Hättest Du also November Long gehandelt, wärst Du bei der Rallye nicht dabei gewesen.
Rough Rice ist ein Rohstoff, der zu verschiedenen Zeitpunkten physisch geliefert wird, und aufgrund der unterschiedlichen, temporären Verfügbarkeit auch im Preis variiert. Der Juli-Kontrakt ist noch die „alte Ernte“, ein Old-Crop Month. Hier herrschen Sorgen, um eine Angebotslücke. Gleichzeitig sind die Aussichten für die Liefermonate im Herbst gut. Zwischen September und Oktober ist Erntezeit für die neue Ernte. Und dort wird eine um 17% größere Produktion gegenüber dem Vorjahr erwartet.
Der vorstehende Chart zeigt die Terminstruktur Ende Mai 2019. Auch damals war der Juli-Liefertermin sehr viel teurer, als die hinteren Monate. In einigen Jahren (auch 2014, 2008, 2004, 1999, 1998, 1997, 1996 und 1994) ist die Relation zwischen Juli und November so. Das führt dazu, dass ein saisonaler Chart mitunter suggeriert, der Preis falle in dieser Zeit stark. Dabei ist es aber ein Preisabschlag, der aus den Liefermonaten selbst kommt, und von dem wir Trader gar nicht in der Praxis profitieren können. Da ich selbst gerade im Reis einen Terminspread gehandelt habe (es war ein Verlust-Trade), bin ich aktuell nah dran an diesem Markt, und im Thema.
Fazit: Achte darauf, ob in einem saisonalen Chart sehr steile Parts enthalten sind (steil ist gut, aber senkrecht ist unrealistisch). Meist hängen diese vermeintlich attraktiven Abschnitte mit Kontraktwechseln und den enormen Preisdifferenzen zwischen den einzelnen Liefermonaten zusammen. Und wenn Du nun denkst, dass Dich das nicht interessieren muss, weil Du ja mit Hebelzertifikaten und Optionsscheinen handelst, dann bist Du abermals auf dem Holzweg. Denn die von Dir gehandelten Produkte beziehen sich auf die Futures. Und Du würdest entsprechend auch mit diesen Produkten NICHT partizipieren.
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